Eine Tasse Tee
Nan-In, ein japanischer Meister der Meiji-Zeit (1868 bis 1912), empfing den Besuch eines Universitätsprofessors, der etwas über Zen erfahren wollte. Nan-In servierte Tee. Er goss die Tasse seines Besuchers voll und hörte nicht auf weiterzugießen. Der Professor beobachtete das Überlaufen, bis er nicht mehr an sich halten konnte. „Es ist übervoll. Mehr geht nicht hinein!“
„So wie diese Tasse Tee“, sagte Nan-In, „sind auch Sie voll mit ihren eigenen Meinungen und Spekulationen. Wie kann ich Ihnen Zen zeigen, bevor Sie Ihre Tasse geleert haben?“
zit. nach Paul Reps: Ohne Worte - ohne Schweigen
Der Kampfhahn
Ji Xingzi richtete für den König einen Kampfhahn zu. Nach zehn Tagen fragte der König: „Kann der Hahn schon kämpfen?“ Er sprach: „Noch nicht, er ist noch eitel, stolz und zornig.“ Nach aber zehn Tagen fragte der König wieder. Er sprach: „Noch nicht, er geht noch auf jeden Laut und Schatten los.“ Nach aber zehn Tagen fragte der König wieder. Er sprach: „Noch nicht, er blickt noch heftig und strotzt vor Kraft.“ Nach aber zehn Tagen fragte der König wieder. Er sprach: „Nun geht es. Wenn andere Hähne krähen, so macht das keinen Eindruck mehr auf ihn.“ Der Hahn war anzusehen wie aus Holz. Sein Wesen war vollkommen. Fremde Hähne wagten nicht mit ihm anzubinden, sie kehrten um und liefen weg.
Zhuangzi, Kap. 19, übers. in Richard Wilhelm: Liä Dsi, S. 70.